Der Berliner Gestalten Verlag veröffentlicht mit seinem Bildband „Nostalgia“ erstmals eine vollständige Farbfotosammlung des in Vergessenheit geratenen Fotopioniers Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorski. Die aufwendig restaurierten historischen Fotografien geben faszinierende Einblicke in das Leben im Zarenreich vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
Mit seinem selbst entwickelten Farbfotografieverfahren gilt Prokudin-Gorski als einer der ersten Color-Fotografen der Welt. Bereits Jahrzehnte vor der Verfügbarkeit von Farbfilmen gelang dem Chemiker mit Hilfen von farbsensitiven Glasplatten die Anfertigung von Farbaufnahmen.
1909 brach Prokudin-Gorski im Auftrag von Zar Nikolaus II. mit einem mobilen Fotolabor zu einer sechsjährigen Reise auf. Ziel war nicht weniger als die systematische Dokumentation des gesamten russischen Reiches. Die Aufnahmen sollten dabei nicht nur die Vielfalt der Landschaften und Volksgruppen dokumentieren, sondern auch eine gemeinsame russische Identität stiften. Kaum jemand in der Gesamtbevölkerung hatte zu dieser Zeit eine Ahnung davon, wie das Leben am anderen Ende des russischen Reiches aussah.
So konnte auch Prokudin-Gorski zu Beginn seiner Expedition nicht wissen, was ihn auf seiner Reise vom westlichen Russland über die Landschaften des Urals bis zum Kaukasus und Zentralasien erwarten würde. Herausgekommen ist am Ende eine umfangreiche Fotosammlung, die ein sich im Wandel befindendes Reich voller Gegensätze zeigt. Prunkvolle Kirchen stehen hier neben schlichten Bauernhäusern, Fabriken der noch jungen russischen Industrie inmitten von noch unberührter Natur. Auch zahlreiche Porträts sind Teil der Dokumentation. Vom Tagelöhner bis zum orientalischen Emir oder stolzen Donkosaken hat der Fotograf alle damaligen Bevölkerungsschichten abgelichtet. Auch Aufnahmen des Schriftstellers Leo Tolstoi finden sich darunter.
Nach der Oktoberrevolution floh Prokudi-Gorski nach Frankreich. Dort starb der Fotograf 1944 in Paris. Seit 1948 sind seine Farbaufnahmen im Besitz der Library of Congress in Washington. Dort wurden die mehr als hundert Jahre alten Fotografien nun aufwendig restauriert. Dabei hat man darauf verzichtet, die Spuren der Zeit mittels Retusche gänzlich zu entfernen. Auf einigen Aufnahmen fehlen Farbschichten, auf anderen zeigen sich solarisierende Effekte. Nicht zuletzt diese artifizielle Optik ist es, die den historischen Zeugnissen ihren einzigartigen Charakter verleiht.
Zu diesem Ergebnis kam auch die Jury des Deutschen Fotobuchpreises. Sie verlieh dem „kunterbunten Augenschmaus“ unlängst Gold in der Kategorie Fotogeschichte.
Bild von Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorski aus Nostalgia, copyright Gestalten 2012
Zur Verfügung gestellt vom Verlag „Gestalten“